E I N F U E H R U N G

EINE KLEINE GESCHICHTE DER ENTSTEHUNG DES THEATERSTÜCKS „DIE DÄMONIE DER LIEBE“

Als ich 1957/58, damals junger Student in Freiburg, zum ersten Mal persönlich Heidegger traf und seine Vorlesungen besuchte, war ich teils enttäuscht, teils hingerissen. Enttäuscht ja: Da kam ein kleiner dunkler, mürrisch blickender Mann in den Hörsaal, schaute weder rechts noch links, und begann, nach einer angestrengten Pause mit leiser, ereignisloser Stimme „wie rohe Eier“ seinen Vortrag. Und sofort stellte sich eine Spannung in dem Saal ein, als wenn die Zuhörer unter Strom gestellt worden wären: Alles Sprechen, alles Räuspern verstummte schlagartig, nur Heidegger war noch zu vernehmen, mit seiner anstrengenden Sprache, seiner einfordernden Konzentration, seinen nur mühsam nachzuvollziehenden philosophischen Gedankengängen. Ich war fasziniert, seine Ausführungen waren mir damals unzugänglich, ja unverständlich, seine eigenwillige Sprache verwirrte mich, jedoch rüttelte sie mich durch und durch. Am Ende war mir, als hätte ich ein Aufputschmittel genommen, die Nacht danach konnte ich vor lauter Aufgewühltsein nicht schlafen.

Dies war der Anfang meiner lebenslangen Beschäftigung mit Heidegger, diesem „Meisterdenker“, dem „gottlosen Priester“, dem „diabolischen Verfallenen“, dem „tiefsten Denker der Zeit“, dem Mann, „der wie ein Holzfäller seinen Weg durch den Wald der Philosophie-Geschichte schlug“, „mit ungeheurer Intensität, verzweifelter Entschlossenheit“. Und dessen Philosophie des Existentialismus dennoch dazu berufen war, eine tausendjährige Philosophie neu zu bestimmen, ja der abendländischen Metaphysik den Garaus zu machen.

Und dann Hannah Arendt. Als ich von ihr und ihrer leidenschaftlichen Liebe, ihrem Verfallensein an Heidegger erfuhr, durchzuckte es mich: Dass sich hier ein Thema von außerordentlichen Dimensionen für eine dramatische Bearbeitung anbot. Hannah Arendt: Wohlerzogen, scheu und doch selbstbewusst, stammend aus einem jüdischen Elternhaus, schlagfertig, philosophisch begabt, eine achtzehnjährige dunkelhaarige anmutige „wildschöne“ junge Frau mit strahlenden Augen, von denen eine suggestive Kraft ausging. „Man taucht in ihnen unter und musste fürchten, nicht mehr nach oben zu kommen“ (Benno von Wiese). Und dann Heidegger: Der rebellische junge Hochschullehrer aus Meßkirch im Schwarzwald, 34 Jahre alt, verheiratet, Vater zweier Söhne, tiefschwarze Haare, stechende Augen, dunkle Gesichtsfarbe, sportlich, herrisch, unduldsam, unnahbar, der das Denken der philosophischen Landschaft der Zwanziger Jahre von Grund auf aufmischte und sich in einem grandiosen Irrtum dem Nationalsozialismus verschrieb, dessen geistiger Führer er werden wollte. Als sich die Beiden in einer Vorlesung vom November 1924 zum ersten Mal trafen, ereignete sich das, was Heidegger als „der jähe Blitz, das Dämonische“ dieser Begegnung bezeichnete. Und Hannah Arendt verfällt diesem „Zauberer von Meßkirch“, wird sich selbst unheimlich, deren Leidenschaft, deren erotisches Verfallensein verstärkt wird durch ein tiefes Verständnis von Heideggers Denken. Was Heidegger später als „die Passion seines Lebens“ beschrieb, war für Hannah Arendt weit mehr: Eine Liebe, von der sie trotz aller späteren Enttäuschungen und Demütigungen sagen konnte, sie sei „zum Segen ihres Lebens geworden“ und auch das erschütternde Bekenntnis: „Wenn es Gott gibt, werde ich dich besser lieben nach dem Tod“.

Die Faszination dieses Liebesverhältnisses der Beiden zueinander dauert bis heute an und ist in vielen Fernsehaufzeichnungen, Filmen und Theaterstücken aufgezeichnet. Die Veröffentlichung ihrer Briefe einerseits, die Biographien gerade auch der neu erschienenen über Heidegger und Arendt, beweisen, dass unveränderte Interesse und die Aktualität dieser Beziehung. Heideggers Philosophie hat das Zwanzigste Jahrhundert geprägt, Hannah Arendt wuchs in den Vereinigten Staaten zu einer philosophischen und journalistischen, mit zehn Doktortiteln ausgezeichneten Ikone auf. Obwohl die Gegensätzlichkeit der Beiden nicht größer sein konnte, war sie doch von einem inneren Band verbunden, das über Jahrzehnte gewachsen war und seinen Ursprung in jener Schlüsselszene im November 1924 fand, als Heidegger vor seiner jungen Studentin auf die Knie sank, von der „Dämonie der Liebe“ überwältigt. Dieses Ereignis war das Schlüsselereignis, das mich dazu bewog, die Liebe der Beiden zu einander zu dramatisieren.

Frankfurt am Main, November 2013

Ralph Günther Mohnnau